Projektreise: Junge Menschen helfen in Indien
In der 50-jährigen Geschichte des Hilfswerks Schwester Petra gab es schon einige Reisen von Wohltätern, häufig Wegbegleiter der Ordensgründerin Schwester Petra aus Oelde, zum Orden der Dienerinnen der Armen nach Indien. In diesem Jahr, in dem Schwester Petra 100 Jahre alt geworden wäre, fuhr erstmalig eine Gruppe von jungen Menschen nach Indien, um vor Ort Solaranlagen zu installieren und gleichzeitig Einblicke in die Arbeit des Ordens zu erhalten.
19 junge Leute, 15 Auszubildende von Firmen aus Oelde und Ennigerloh sowie vier Gesamtschülerinnen, waren dem Aufruf des Hilfswerks Schwester Petra gefolgt, in den Herbstferien bei drei verschiedenen Konventen der Dienerinnen der Armen in Südindien Solaranlagen zu installieren, um die Schwestern unabhängig vom veralteten und nicht ausreichend ausgebauten Stromnetz des Landes zu machen. Begleitet wurden die Freiwilligen von drei Betreuern des Hilfswerks Schwester Petra.
Während die Gesamtschülerinnen bereits im Religionsunterricht vom Wirken der Oelderin und von der Entwicklung des 1969 gegründeten Ordens Dinasevanasabha erfahren hatten, hörten viele der Auszubildenden erstmalig von Schwester Petra und dem Orden, der heute aus mehr als 600 Schwestern in über 90 Konventen in Indien besteht. Auch in Deutschland sind über 30 Schwestern des Ordens in der Alten- und Krankenpflege tätig. Die daraus erzielten Einnahmen gehen fast komplett nach Indien und stellen neben den Spenden über das Hilfswerk die wichtigste Unterstützung für die Arbeit des Ordens dar, vor allem, nachdem der indische Staat mehr und mehr seine Förderungen zurückfährt.
Nach 10-stündigem Flug wurde die 22-köpfige Reisegruppe am Flughafen Bangalore von einigen Ordensschwestern empfangen und in drei Gruppen aufgeteilt. In kleinen Bussen ging es weiter zu den Zielkonventen. Dabei lernten die Reisenden nicht nur ein völlig anderes – nämlich chaotisches - Verkehrsverhalten kennen, sondern mussten auch erfahren, dass die Reisegeschwindigkeit aufgrund der maroden Straßenverhältnisse mindestens dreimal so lang war wie in Deutschland üblich. Wohlbehalten kamen die drei Teams in den Konventen in Kurnool/Bundesstaat Andhra Pradesh, Cowdally/Karnataka und Calicut/Bundesstaat Kerala an, wo sie warmherzig mit Blumen und Gesang von den Schwestern empfangen wurden.
Das Hauptanliegen des Aufenthalts – die Installation der Solaranlagen – geriet fast zur Nebensache. So sehr dieser konkrete Beitrag zur Hilfe Mittelpunkt der Reise sein sollte, so sehr rückte er in den Hintergrund, wenn die Teams nach erfolgreicher Arbeit Heime für Kinder, Waisen sowie alte und kranke Menschen besuchten. Die jungen Leute sahen, mit welcher Hingabe die Schwestern den Menschen helfen, ihnen würdige Lebensumstände ermöglichen und sie befähigen, sich durch Bildung oder Anschubleistungen eine bessere Zukunft aufzubauen. Viele Schicksale machten betroffen. Unvergessen bleiben aber auch die strahlenden Gesichter der Inder als Ausdruck der Freude über die Besuche und den Austausch mit den jungen Leuten.
Einen nachhaltigen Eindruck erhielt das Team um Hilfswerksbetreuerin Andrea Stahnke vom Orthopädie- und Physiotherapiezentrum in Kurnool, das von den Schwestern geleitet wird. Mit einfachen Mitteln werden Orthesen und weitere Hilfsmittel hergestellt, die es den Menschen mit starken Behinderungen ermöglichen, ein würdigeres Leben zu führen. Bei einem Besuch von betroffenen Familien in entlegenen Dörfern sahen sie diese Hilfsmittel in der Anwendung zu Hause. Unübersehbar war die tiefe Dankbarkeit der Familien gegenüber den Schwestern, die sich auch darin ausdrückte, dass sie sich stolz mit den Besuchern für Fotoaufnahmen aufstellten. Die einzelnen Schicksale erschütterten. Einerseits waren Unfälle die Ursache für starke Behinderungen, aber oftmals auch bei ursprünglich gesunden Kindern Fieber oder Infektionen, die sie in ihrer Entwicklung körperlich und geistig einschränkten.
Ausgesprochene Lebensfreude erlebte die Reisegruppe bei einem gemeinsamen Tanzabend mit Waisenkindern. „Dieser Abend wird für immer in meiner Erinnerung bleiben“, sagte der inzwischen erwachsene Waisenjunge Persil, der aufgrund seines guten Bildungsabschlusses in Kürze eine Stelle als Lehrer antreten kann. Mit seinen „Brüdern und Schwestern“ – so nennt er alle Waisenkinder des Heims – und den jungen Gästen aus Deutschland wurde ausgelassen gelacht, getanzt und gescherzt.
Auf die Reisegruppe um Hilfswerks-Betreuer Anish Kallookadan hinterließ der Besuch bei Bischof Varghese Chakkalakal einen nachhaltigen Eindruck. Der Bischof nahm sich viel Zeit für die jungen Leute, informierte sich über die Arbeit an der Solaranlage, feierte gemeinsam mit ihnen eine Messe und den Geburtstag eines Teammitglieds.
Ein Besuch in einem Krankenhaus vor Ort, dem Calicut Medical College, mit über 10.000 Betten zeigte eindrücklich, wie groß der Unterschied zum heimischen Gesundheitswesen ist. Zimmer mit 30 Betten und voll belegte Flure sind Alltag, wenn man sich überhaupt den Krankenhausaufenthalt leisten kann.
Traurig waren die Besucher aus Deutschland darüber, dass im Rudolf-Haver-Haus, einem Internat für Mädchen aus armen Verhältnissen, derzeit nur 30 statt der möglichen 100 Mädchen leben können, da die Behörden neue strenge Auflagen für die angeschlossene Kläranlage machen. Hier müsse dringend geholfen werden, waren sich alle Reiseteilnehmenden einig.
Mit Malen und Ballspielen verbrachte die Gruppe um Betreuerin Heike Beckstedde ihre Zeit mit den Bewohnerinnen des Seniorenheims in Cowdally, wo die Reisegruppe auch untergebracht war. Dieser Ort liegt im Vergleich zu den Konventen der anderen beiden Gruppen in einer deutlich ärmeren Gegend. Umso mehr beeindruckten die Lebensfreude und Großzügigkeit der Bewohner die jungen Reisenden.
Große Betroffenheit herrschte bei der Besichtigung einer Art Arztpraxis, in der sich die Schwestern um die kranken Dorfbewohner kümmern. Nur einmal in der Woche nimmt ein Arzt aus Bangalore die vierstündige Autofahrt in Kauf, um die Schwestern zu unterstützen. Eine Intensivierung der wöchentlichen Konsultation ist ohne Spenden nicht möglich.
Die Teilnahme am Klosterleben mit regelmäßigen Messen war für die deutschen Besucher aus Respekt vor der Arbeit und dem Wirken der Schwestern selbstverständlich. Zu Fuß ging es morgens um 6.20 Uhr in die Kirche, um mit den christlichen Dorfbewohnern gemeinsam die Messe zu feiern.
Zudem besuchte die Gruppe weitere Konvente in der Nähe, die für ein Hospiz oder ein Internat verantwortlich zeichneten. Auch hier ließen sich die Gäste von der Freude der Bewohner über die Abwechslung, die der Besuch mit sich brachte, anstecken.
Die Reisegruppe war sich einig: diese Woche hat großen Eindruck hinterlassen.
Alle Gruppen erfuhren in den Konventen eine beispiellose Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit der Schwestern. Nach einer intensiven Woche fiel der Abschied schwer.
Im Generalat in Pattuvam wurden die drei Teams von der neuen Generaloberin Schwester Ancy herzlich willkommen geheißen. Die Generaloberin und ihre Mitschwestern freuten sich über den einheitlichen Auftritt der jungen Leute in orangefarbigen T-Shirts mit dem Logo des Hilfswerks. Gemeinsam mit Schwester Lissa, die viele Jahre in Deutschland tätig war, besuchten die Reisenden die Gräber von Schwester Petra und Schwester Willigard, das Museum, das eindrucksvoll das Leben von Schwester Petra und die Entwicklung des Ordens aufzeigt, sowie Einrichtungen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Ordens. „Ich hätte nie gedacht, wie viel Freude man mit Seifenblasen und Luftballons auslösen kann“, berichtet Shirley Westerwalbesloh nach dem Besuch eines Kindergartens. In einem Mädchenheim brachten gemeinsame Lieder und Tänze die Gesichter zum Strahlen. Sein Glück kaum fassen konnte ein kleiner Waisenjunge, nachdem einige Azubis mit ihm Fußball gespielt hatten und ihm den Fußball zum Abschluss schenkten.
Bestürzt zeigten sich die Gäste aus Deutschland über die Unterbringung alter Frauen zum Teil mit geistigen Einschränkungen in einem Heim in Pattuvam. Dieses Heim ist dringend renovierungsbedürftig, da es weit entfernt vom üblichen Standard des Ordens liegt.
Voller unvergesslicher Eindrücke trat die Reisegruppe die zweite Indienwoche an, die dem Kennenlernen der Lebens- und Arbeitsbedingungen und der indischen Kultur gewidmet war.
Neben der Reise in einem von neun modernen indischen Zügen beeindruckte die grüne Landschaft Keralas mit ihren unzähligen Teeplantagen. Die Reisenden erhielten detaillierte Kenntnisse über die Herstellung verschiedener Teesorten, besuchten eine Gewürzplantage und genossen die atemberaubende Landschaft bei einer Bootstour. Eine Vorstellung traditioneller Kriegskunst sowie der Ausdruckstanz Kathakali waren Teil des eng getakteten Programms. Am Abreisetag wurde die Reisegruppe am Adi Shankara Institute of Engineering & Technology in Kochi zu einem Austausch mit Studenten und Professoren empfangen. Im Anschluss daran begab sie sich zum Abreiseflughafen von Kochi. Dieser Flughafen ist weltweit der einzige, der sich komplett eigenständig über Solarenergie versorgt. In einer interessanten Präsentation informierte der Flughafendirektor die Reisenden über diese Entwicklung.
Bei allen Aktivitäten trafen die jungen Leute auf ausgesprochen freundliche, hilfsbereite und offene Einheimische. Zuhause angekommen wurden sie von ihren Eltern, Freunden und einigen Schwestern der Dienerinnen der Armen herzlich empfangen. Unvergessliche gemeinsame Erinnerungen wecken bei allen Teilnehmenden den Wunsch, weiter in Kontakt zu bleiben und Hilfswerk und Orden durch Wort und Tat weiter zu unterstützen. Sie hoffen auch, dass ihre Arbeitgeber, die die Projektreise größtenteils ideell und finanziell unterstützt hatten, einer Fortsetzung derartiger Aktionen wohlwollend gegenüberstehen.
Andrea Stahnke